Liebes Tagebuch,
ich spüre, dass mein Leben nur noch an
einem seidenen Faden hängt. All die schönen Träume und Spinnereien sind wie
schillernde Seifenblasen zerplatzt. Illusion, nichts als Illusion- diese
Erkenntnis macht mich fertig, zieht mich immer weiter nach unten. Wann reißt
er, der Faden? Wie konnten wir nur so blöd sein uns einzureden, dass wir je
wieder von dieser Scheißdroge wegkommen? Damit haben wir doch nur unser
Gewissen beruhigt und uns selber die Erlaubnis für den nächsten Schuss gegeben.
"Nur noch diesen Druck, ein einziges Mal noch" Dieser elende Satz,
der unaufhörlich in meinem Körper hämmert, bis ich schließlich nachgebe. Wie
viele Entzüge sind so gescheitert! Wieder keine Hoffnung mehr! Heroin- die
letzten zwei Jahre habe ich nur für diesen Stoff gelebt. Er hat alles in den
Schatten gestellt, was mir jemals etwas bedeutet hat: meine Familie, die Schule
und die Liebe zu Detlef. Ja, ich habe gerade einen lichten Moment. Ich scheue
mich nicht mehr, der Wahrheit ins Gesicht zu blicken. Ich weiß genau, dass ich
nur noch zwei Möglichkeiten habe und dass ich mich jetzt entscheiden muss, wie
immer getrieben vom H. Wenn ich von dieser Droge nicht loskomme werde ich
vielleicht noch zwei Jahre zu leben haben. Zwei schreckliche Jahre. Zwei Jahre,
in denen ich zwischen dem Beton der Hochhäuser dahinvegetiere, in stinkenden
Toiletten mir ein bisschen Glück unter die Haut spritze und mich dafür
ekelhaften Freiern hingeben muss. Zwei Jahre, in denen das Heroin meinen
Überlebenswillen und jegliche Freude unter sich begraben wird. Aber ist das
nicht schon geschehen? Für wen lohnt es sich zu leben? Detlef? Nein, er steckt
zu tief in der Scheiße drin, genau wie ich. Alles sinnlos. Natürlich kann ich
wieder auf Entzug gehen, doch mit welcher Chance? Ich kenne mich, ich bin nicht
stark genug, ich werde es nie schaffen. Selbst wenn das Wunder geschehen würde,
so würde mich meine schreckliche Vergangenheit doch immer wieder einholen. Sie
klebt an mir fest, ist nicht wegzukriegen. Mein ganzes Leben lang wäre ich als
schmutzige Fixerin abgestempelt, eine verachtete, wertlose Person, von der
Gesellschaft ausgeschlossen. Das kann und will ich mir nicht antun. Ich könnte
die Schuld für diese ganze Scheiße auf meine Mutter schieben, die nie Zeit für
mich hatte, auf meinen Vater, der mir durch seine Aggressionen meine glückliche
Kindheit nahm oder auf diese verdammte Umgebung, in der man so leicht
abrutscht. Klar, das hat mir schwer zugesetzt, aber das größte Problem, das bin
ich selbst. Ich verachte und hasse mich für das, was ich gemacht habe, ich ekel
mich vor mir selbst. Ich bin nur noch
der klägliche Überrest, ein Schatten der früheren Christiane, vollgepumpt mit
Heroin, abhängig, ohne Kraft zum Widerstand. Langsam und elend verrecken, nein,
so nicht. Ich werde mir lieber den Goldenen Schuss setzten. Hier. Jetzt. Ich
verspüre keine Angst, der Tod kann nicht schlimmer sein als dieses
menschenunwürdige Leben. Jetzt bin ich total ruhig. Ich denke nicht an meine
Familie, nicht an schöne Tage meiner Kindheit, nicht an Detlef. Meine Gedanke
kreisen um Heroin, Heroin, Heroin... . Es wird nicht wehtun, es wird genauso
sein wie immer, genauso vertraut, nur, dass dieser Schuss mein letzter sein
wird.
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